Sicher, man musste Geduld aufbringen, bis die Juggernauts ihr Debütalbum The Juggernauts Are Coming endlich fertig gestellt hatten. Doch diese Investition in Selbstbeherrschung zahlt sich aus, denn auf der Scheibe bekommen alte und junge EBM Recken eine fast perfekte Mixtur aus Härte, Stimmung, ausgetüftelter Rhythmik und Klangfaszination geboten.
The Juggernauts – The Juggernauts Are Coming
Nur eine EP (Phoenix) released – und schon galten The Juggernauts vielen Hörern und natürlich ihrem Label Out Of Line als eine der wichtigsten jüngeren EBM Bands. Ein Projekt, welches die EBM-Musikrichtung mit klarer Kontur erneuern könnte, ohne sie zu verwaschen oder zu verklären.
Zu dieser Einschätzung trugen sicher die energischen und wohl inszenierten Liveauftritte bei. Man konnte bei den Konzerten seit geraumer Zeit immer wieder neue Tracks hören – die Gier nach mehr war geweckt.
Gier auf ein minimales Grundgerüst, das aus (bisweilen gallopierenden) Beats, unermüdlichen Sequenzerattacken und energischen Shouts eine reinigende musikalische Aggression vermittelt. In der Wirkung den legendären Portion Control, frühen Vomito Negro oder Front 242 gar nicht so unähnlich.
Dazu treten immer wieder dosiert eingespielte Backgroundsounds, die Gefahr suggerieren und eine Art tarnfarbene Stimmung heraufbeschwören.
Gute EBM prescht nicht nur hart voran, sie besitzt diese subtile Faszination, den mutigen Ausdruck in der Bewegung – und genau dieses Phänomen vermitteln The Juggernauts auf dem kompletten Album.
Ein extrem homogenes Werk, welches reihenweise Clubkandidaten bietet und sich gleichzeitig die Zeit nimmt, ausgewählte Nummern sukzessiv aufzubauen. Exemplarisch sei der zunächst schleichende Opener The Juggernauts Are Coming genannt, welcher im Verlauf an Dramatik und Wirkung gewinnt.
Homogene und minimalistische Inszenierung auf hohem Klangniveau
Man mag einwerfen, dass es nicht so viele neue Songs sind, die auf The Juggernauts Are Coming zu hören sind. Das stimmt, das Projekt nimmt sich offenbar viel Zeit für jeden einzelnen neuen Titel; man agiert sorgsam.
Und so tauchen die bekannten Nummern der Phoenix-EP ebenfalls auf dem Debüt auf: Das unruhige Phoenix, Damaged Illusions sowie das brachiale Infected wurden vorsichtig, aber passend überarbeitet.
Sie fügen sich perfekt in den rhythmischen Fluss und in die Wirkung des Albums ein. Insofern bereichern die Überarbeitungen den Output. Über die hohe Qualität der originalen Nummern wurde bereits im Phoenix Review viel geschrieben.
The Juggernauts Are Coming schreibt den Ansatz der EP gekonnt und sehr konsequent fort: Eine variantenreiche und verspielte Rhythmik schlägt pumpend und fordernd ein, die harten Vocals fräsen sich sich in ihrer parolenhaften bis gepresst-wütenden Machart schnell fest.
Man macht sie sich als Hörer zu eigen, saugt die Energie auf und speist damit den Bewegungsdrang des Körpers.
Frische und durchdacht arrangierte Bässe peitschen den Nummern nach vorne, kurios: Man kann einige Titel der Juggernauts als DJ sowohl problemlos nach EBM-Klassikern als auch nach einer unruhigen The Prodigy Nummer spielen. Genau dieser Spagat verdeutlicht die Frische des Albums, das ohne jegliche Schwachstelle angerauscht kommt.
Facetten der Juggernauts
Bei aller Differenziertheit kann das Duo auch den straighten und einfachen Stampfer, das zeigt Plastic World. Es wirkt belgisch im Habitus – natürlich.
Hypnotische bis technoide Momente fließen hingegen in Drinking Blood ein, sie betonen den harten Vocalpart, bevor sich im Refrain eine bedrohliche Stimmung aufbaut. Gekonnt ist ist gekonnt, schnell keimt die Erkenntnis auf, das Rohes durchaus eine gewisse Weitläufigkeit mit sich bringen kann.
Das ungewöhnliche Abyss markiert im Verlauf einen speziellen Moment: Nach dem experimentellen Start “saugt” der faszinierende und klaustrophobisch anmutende Track den Hörer in sich hinein. Ein Phänomen, welches alte The Klinik Fans nur zu gut kennen.
Als weiterer Höhepunkt kristallisiert sich später das gnadenlose Purge heraus. Alle bandeigenen Merkmale einen The Juggernauts hier zu einem unheimlichen und treibenden Bastard, der den Hörer wütend angeht.
Tanzbar und repetitiv beendet Follow das Album, ein Titel, der durchaus auf das letzte Portion Control Werk gepasst hätte und andeutet, dass es bei vorhandenem Gespür möglich ist, moderne Töne in 242%ige EBM zu integrieren.
Fazit: Es mag 2016 nicht unendlich viele spannende Alben geben, aber die Highlights purzeln doch mit steter Regelmäßigkeit herein. Wer Portion Control mag, sich fragt, wie Front 242 wohl klingen würden, wenn sie ihren ursprünglich härteten Weg mit modernen Mitteln konsequent weiterverfolgt hätten und diese Mixtur modern aufpoliert um die Ohren bekommen möchte, der oder die liegt hier richtig. Ein sattes und bei aller Rhythmik auch beachtlich stimmungsvolles Debüt der Juggernauts.
Wertung: 9.0 von 10 Punkten (9/10)
The Juggernauts Are Coming Release Infos
Interpret: The Juggernauts
Label: Out Of Line
Release: Juli 2016
Stil:EBM
Tracklisting:
01. The Juggernauts Are Coming
02. Damaged Illusions (V.2K16)
03. Plastic World
04. Drinking Blood
05. Phoenix (Extended / V.2K16)
06. Abyss
07. Infected (V.2K16)
08. Religion (V.2K16)
09. Purge
10. Follow
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